Entsorgung war gestern, Abfallvermeidung und Wiederverwertung ist das Gebot der Stunde.
So wird der Verbrauch knapper werdender Rohstoffe reduziert und die Umwelt geschont.
von Holger Hagenlocher
In Singen wächst die Müllmenge. „Der Grund dafür ist die steigende Einwohnerzahl“, erklärt Heidi Urbatsch. Bereits seit 2002 ist die Umweltingenieurin Abfallbeauftragte der Stadt Singen und Expertin für alle Fragen rund um Müllentsorgung und Wiederverwertung.
Einmalig in Süddeutschland
Sie war maßgeblich an der Planung des neuen Wertstoffhofs im Gaisenrain beteiligt, der nach modernsten Kriterien errichtet wurde. „Wir sind der einzige Wertstoffhof dieser Art im ganzen süddeutschen Raum“, so Urbatsch. Einen Wertstoffhof mit überdachter Rampe, die zugleich mit Räumen unterbaut ist und Pausenräumen als Rückzugsmöglichkeit für die Mitarbeiter bietet, fände man sonst weder in Bayern noch in Baden-Württemberg.
Doch nicht nur der Aufbau des Wertstoffhofs ist beeindruckend, sondern auch die vielen Entsorgungs- und Recyclingunternehmen, die an ihn angebunden sind. Rund 15 verschiedene Abfallarten werden im Wertstoffhof getrennt gesammelt und von Unternehmen wie zum Beispiel Remondis, Oehle oder Hämmerle befördert, die zum Teil auch für die Entsorgung zuständig sind.
Ob Korken, Textilien, Grünschnitt, Möbelholz, Batterien und Akkus, elektrische und elektronische Geräte, Metalle oder Öle, im Wertstoffhof findet alles seine passende Bestimmung.
So werden zum Beispiel biologisch abbaubare Abfälle zum Kompostwerk Singen befördert, wo dort in verschiedenen Kompostierungsprozessen zum Beispiel Dünger für die Landwirtschaft entsteht. Gesammelten Speisefette werden unter anderem als Brennzusatz eingesetzt. Und der nicht-verwertbare Sperrmüll wird zur Müllverbrennung ins Schweizer Weinfelden transportiert.
Hier den Überblick zu behalten, fällt schwer. Denn die Wege des Abfalls müssen zudem nachverfolgt werden können. „Deshalb sind wir als Entsorgungsfachbetrieb zertifiziert. Damit kein Müll aus Singen in Afrika landet“, erklärt Urbatsch.
Der Wertstoffhof in Singen ist allerdings nur für die Singener Bevölkerung zugänglich. An der Einfahrt wird deshalb kontrolliert.
Am Einlass wird kontrolliert
„Wer sich nicht mit einem Ausweis oder dem Singener Müllgebührenbescheid als Singener ausweisen kann, wird abgewiesen“, so Urbatsch. „Dies führt immer wieder zur Verärgerung der Bürger, aber davon können wir leider nicht abweichen.“ Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die lokalen Angebote der einzelnen Kommunen und den Wertstoffhof des Landkreises in Böhringen.
Wiederverwertung ermöglicht soziale Teilhabe
Dass Wiederverwertung gebrauchter Dinge nicht nur einen nachhaltig ökologischen Zweck erfüllen kann, sondern auch sozialen Nutzen stiftet, zeigt das Beispiel der Fahrradwerkstatt Velofit, die sich im Keller der Singener Johann-Peter-Hebel-Schule befindet. Die soziale Fahrradwerkstatt ist eine Einrichtung des Vereins Kinderchancen Singen, der die Lebenssituation von Kindern in Singen dauerhaft verbessern und eine Lobby für Kinder aus armen und sozial benachteiligten Familien sein will. Dazu werden gebrauchte Fahrräder und Fahrradteile wiederverwertet und zu sozialen Preisen verkauft. Aus gespendeten Fahrrädern baut Werkstattleiter Christian Gutknecht zusammen mit Mitarbeiter Günther Arnold voll funktionsfähige Räder für Kinder und Erwachsene, die dann zu Preisen von rund 25 bis 50 Euro abgegeben werden. „Aus zwei mach eins“ erklärt der gelernte Kfz-Elektriker und Automechaniker sein Motto.
„Der allergrößte Teil der angelieferten Räder wird wiederverwertet“, so Gutknecht. Das Angebot wird gut angenommen. Rund 180 bis 200 Fahrräder im Jahr werden aufbereitet und verkauft.
„Wir wollen, dass Kinder mobil sind und ihren Radius erweitern können“, betont die Geschäftsführerin von Kinderchancen Singen, Bettina Fehrenbach. Deshalb solle mit dem Verkauf von Fahrrädern zu günstigen Preisen auch Familien eine Hilfestellung gegeben und die gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht werden.
Reparieren statt Wegwerfen
„Reparieren statt Wegwerfen“ ist auch das Motto im Repair-Café in Gottmadingen. In den Räumen der Freien evangelischen Gemeinde (FeG) im ehemaligen Parkrestaurant im Industriepark öffnet die Reparierveranstaltung 5 Mal im Jahr ihre Türen. Dabei ist der Name Programm. Neben Reparaturen gibt es auch Kaffee und Kuchen und Gelegenheit für Gespräche. „Viele unserer Besucher hängen an ihren Geräten und wollen sie lieber reparieren lassen statt sie wegzuwerfen“, erklärt Andreas Lorch seinen Einsatz. Lorch ist in der FeG zuständig für den sozialen Bereich und so liegt ihm auch der soziale Aspekt am Herzen. „Der Eintritt ins Repair-Café ist kostenlos. Werden Reparaturen ausgeführt, so geben die Kunden eine Spende in einer Höhe, die sie leisten können und wollen“, erklärt Lorch die Philosophie. Wer selber repariert und nur die Infrastruktur nutzt, müsse nichts bezahlen.
Das Angebot kommt gut an. Im März 2019 konnte der tausendste Besucher begrüßt werden. Seit es das Repair-Café gibt, wurden bereits 1.085 Reparaturen durchgeführt, zwei Drittel davon erfolgreich. „Die maximale Zahl an einem Tag waren 70 Reparaturen“, erzählt Lorch. Mehr ginge nicht. „Deshalb mussten wir auch schon Besucher enttäuschen“, ergänzt seine Ehefrau Amande Lorch, die die Anmeldungen entgegennimmt und neben den Telefonaten auch die Organisation des Repair-Cafés betreut. Wer Elektrogeräte reparieren lassen will, solle sich vorher anmelden, erklärt sie.
Die meisten der freiwilligen Helfer und Handwerker sind Rentner, die nicht zum alten Eisen gehören sollen. „Im Repair-Café erhalten sie Wertschätzung“, so Andreas Lorch. Wichtig für alle Mitarbeiter sei das Gemeinschaftsgefühl, das durch ein gemeinsames Mittagessen vor der Veranstaltung gefördert werde. (hhr)
Was wird im Repair-Café repariert?
Das Repair-Café öffnet 5 Mal im Jahr seine Türen. Die nächsten Termine sind Samstag, 28. September und Samstag, 30. November, jeweils von 13 bis 16 Uhr. Die Reparaturen, die von ehrenamtlichen Handwerkern und Tüftlern ausgeführt werden, teilt das Repair-Café in folgende Kategorien ein: Elektrogeräte 220V, Elektronische Geräte mit Trafo (wie zum Beispiel PC’s), Textilien, Holz (Schreinerarbeiten) sowie Wäschespinnen und Sonnenschirme. Wer Elektrogeräte reparieren lassen will, muss sich vorab anmelden: 07731/319035. (hhr)
Deutschland auf dem Spitzenplatz
Deutschland ist Vize-Europameister. Zumindest bei der Müllerzeugung. Pro Kopf produzieren wir 626 Kilogramm Hausmüll im Jahr. Nur in Dänemark landete in Europa mehr Abfall im Rest- und Biomüll, in Glascontainern, im Altpapier oder in der Wertstofftonne. (hhr)